Wie bei kaum einer anderen Sportart ist beim Segeln das Denken der Menschen von
falschen Vorstellungen behaftet, oft von der Werbung für falsche Klischees benutzt.
Wie dieser Satz: Segler sind immer gut gelaunt und lächeln immer (laut Werbung). Be
sprechung überflüssig.
Oder dies: Segler sind reiche Playboys. Der Hintergrund: Wer hat noch nie in Illustrierten /
Filmen / Plakaten / Werbeprospekten, einen gut gekleideten Schönling am Ruder einer
Hochseejacht gesehen, in einer Hand das Glas Whisky, die andere lässig um eine attrakti
ve Frau gelegt? Mit welcher Hand steuert dieser Seemann eigentlich?
Nicht zuletzt wegen dieser Klischees schreibe ich diesen Bericht.
Kein Klischee ist allerdings die Tatsache, daß den Seglern das Boot, das sie gerade besit
zen oder fahren, immer zu klein ist. Beziehungen zu ihrem Boot sind für Segler keine Ehen
(alten Typs ), in denen Unauflöslichkeit und persönliche Verpflichtung zueinander im
Vordergrund stehen. Vielmehr ist eine solche Paarung zunächst einmal eine Zweckbezie
hung. Eignergemeinschaft: Zwei oder mehr Personen haben sich auf Zeit zusammenge
schlossen um in gemeinsamer Anstrengung ein bestimmtes, überwiegend hochgestecktes
Ziel zu erreichen, meistens ein größeres Boot.
Über diese Tatsachen waren Paul und ich uns auf jeden Fall klar, als wir beschlossen, wir
brauchen ein größeres Boot.
Unsere Neptun 24 war für das Steinhuder Meer ja ein großes Boot. Aber im Ysselmeer
oder gar Nordsee einfach zu klein. Also verkauften wir die Fatamorgana und kümmerten
uns um den Neuerwerb. Mindestens 30 Fuß sollte es haben. Es wurde die Prinzeß 30, die
in Bremen lag. Für uns leicht erreichbar und in dem Preissegment, das wir uns vorgestellt
hatten.
Princess 30 8,75 x 2,75 x 1,30 m
Nach den ärgsten Frösten des Winters verlegten wir das Boot nach Hasenbühren.
Ein Wassersporthafen an der Weser, vor der Stadt Bremen. Hier haben wir unser neues
Boot renoviert, das heißt alles nachgesehen, ergänzt und zusätzliche Sicherheitseinrich
tungen eingebaut. Vom Funkgerät bis zur Rettungsinsel oder Rettungsboje. Der Diesel
motor gewartet und ein dreibeiniger Träger für ein Radargerät im Heck aufgebaut. Das
dazu gehörige Radargerät hatten wir allerdings noch nicht installiert,aber dazu noch einen
Go nio Funkpeiler eingebaut.
Das Boot war für eine Überführungsfahrt gut ausgerüstet. Denn eins war klar, das Boot
musste ins Ysselmeer.
Man darf beim lesen dieses Berichts, nicht vergessen, daß wir 1977 noch keine GPS
Navigation hatten und ganz auf die alten Navigationsverfahren angewiesen waren. Also
terrestische Navigation, wo die Positionsbestimmung in Küstennähe anhand von
Landmarken (markanten Punkte an Land), und sonstigen Seezeichen erfolgt. Und die
Koppelnavigation, da wird die laufende Ortsbestimmung aus Kurs und Geschwindigkeit
ermittelt.
Am 18.05.1977 wird die Windflower, so heißt das neue Boot inzwischen, von Paul und Gi
sela nach Bremerhaven überführt.
Am nächsten Tag kommt die übrige Mannschaft. Das sind mein bester Freund Ludwig, der
schon einige Segelerfahrungen hatte, aber noch nie auf der Nordsee gesegelt war. Mein
Bruder Rudi, der erst seit kurzem wieder zu Hause ist und ein paar Jahre als Seemann auf
allen Meeren fuhr. Nur hatten diese Schiffe, nichts mit einer kleinen Segelyacht zu tun.
Paul als Skipper hatte schon einige Erfahrungen auf Nord- und Ostsee. Ich selber bin
auch schon auf der Nordsee gesegelt, aber hauptsächlich war das Ysselmeer mein Revier
Ich hatte aber alles gelesen, was Fachbücher und Se gelzeitschriften über dieses Hobby
hergaben. Nur muss ich noch erwähnen, dass ich eigent lich überlegt hatte überhaupt mit
zu fahren, weil ich seit einem Jahr an einem Schulter – Arm Syndrom litt, und ich nicht
wusste, ob ich für so einen Turn vielleicht überfordert war.
Die Wettermeldungen gaben Grund zu der Annahme einen schnellen Turn bis zu un
serem ersten Ziel, der holländischen Insel Terschelling, zu haben. Es ist Wind aus öst
lichen Richtungen in der Stärke 6-7 voraus gesagt. Das ist für uns ein Kurs überwie gend
achterlich bis raum. Obwohl man normal bei 6-7 Windstärken mit einer kleinen Sege lyacht
nicht mehr ausläuft, beruhigte uns die Aussicht den Wind von achtern zu haben. Der
bringt uns ja direkt zu unserem Ziel. Außerdem sind wir der Ansicht, dass wir ein gu tes
Boot haben und es ist sehr gut ausgerüstet.
Wir ziehen unsere Segeloveralls über, ziehen die Stiefel an, legen die Lifeleinen an und
halten die Rettungswesten parat. Es sollte aber nicht lange dauern, bis Paul uns sagte,
dass wir alle die Rettungswesten anlegen sollen
Um 15 Uhr fahren wir im Yachthafen von Bremerhaven ab, um rechtzeitig in der
Hafenausfahrt zu sein, um das ablaufende Wasser zu nutzen und im Rücken zu haben.
In das Großsegel haben wir zwei Reffs gebunden und mit kleiner Fock haben wir mehr als
genug Segel, um bei dem Wind volle Fahrt zu machen. Aus dem geschützten Hafen kom
mend, packt uns der Wind mit brutaler Kraft.
Unsere Fahrtrichtung beschert uns zu nächst einen Raumschotkurs an den grünen
Tonnen des Fahrwasser entlang, allerdings außerhalb der Schifffahrtsstraße. Auf diesem
Kurs schießt das kleine Boot vorwärts, als müssten wir noch heute unser Ziel erreichen.
Wir sind noch in Landschutz und deshalb sind die Wellen noch nicht so hoch. Das Wasser
zieht unter unserer Yacht durch, weiße Gischt rauscht an der Fußreling vorbei - fast
sieben Knoten zeigt das Sumlog an!
Das ist schon über der theoretischen Rumpfgeschwindigkeit.
Es ist das erste Mal, dass wir die Prinzeß 30, auf der Nordsee, in immerhin 6-7 Windstär
ken erleben und wir haben ein gutes Gefühl. Langsam kommen wir aus der Landabde
ckung heraus und der Seegang wird höher.
Wir müssen unser Boot aus Polyester, Holz , Stahl, Tauwerk und Segel bestehend, zwin
gen unserem Willen zu gehorchen. Wir müssen es verstehen, den Wind so zu nutzen,
dass unser Fahrzeug uns zum Ziel bringt. Wie müssen über Gezeiten, Seegang, Strömun
gen und Barren, über Fahrrinnenbetonnung und Tag und Nacht Signale Bescheid wissen,
in der Wetterkunde bewandert und vertraut sein mit der Besonderheit unseres Boo tes.
Sollten das die Dinge sein, die uns herausfordern?
Je weiter wir uns von der Landdeckung entfernen, um so höher wird der Seegang. Da
zeigt es sich auch, dass unsere Princess mit diesen Wellen nicht so gut fertig wird. Un
sere rauschende Fahrt wird immer geringer, weil uns die hohen Wellen bremsen. Das
Wasser spritzt permanent vom Bug ins Cockpit. Wenn es heftig kommt, donnern ganze
Fontänen mir ins Gesicht. Man kann die Augen nicht rechtzeitig schließen, und das salzi
ge, kalte Wasser lässt diese brennen wie Feuer. Das fängt ja gut an.
Wir fahren entlang der grünen Tonnen, immer außerhalb der Seefahrtstraße, aus der We
sermündung hinaus. Bis zur grünen Tonne H Reede. Hier setzen wir einen neuen Kurs ab,
auf das Jadefahrwasser vor Wangerooge auf die grüne Tonne 17. Nun müssen wir das
Fahrwasser queren. Das sollte immer so schnell wie möglich passieren und auf keinen
Fall darf die Berufsschifffahrt im Fahrwasser behindert werden. Da das Fahrwasser hier
nicht so breit ist, sind wir schnell durch. Nun haben wir die Insel Wangerooge an backbord
Unser neuer General Kurs ist West.
Inzwischen ist es dunkel geworden und wir sehen die Lichter an Land von Wangerooge.
Der Wind kommt jetzt direkt von hinten. Bei den hohen Wellen und dem achterlichen Wind
ist unser Boot enorm am „geigen“. Ich bin am Ruder und habe große Mühe das Boot nach
jeder Welle wieder auf Kompasskurs zu bringen.
Vor achterlichem Wind lau fend, wenn segeln die reinste Freude ist, tendiert man dazu,
zunehmende Wind nicht ernst zu nehmen. Diese Gefahr besteht hier nicht. Wir spüren den
zunehmenden Wind an dem immer höher werdenden Seegang. Es ist beängstigend, wenn
am Heck die Brecher zu hören sind. Die Windflower wird regelrecht angehoben und dann
geht es bergab, so an die fünfzig bis hundert Meter ins Wellental und dann kommt die
Nächste Welle und wieder stürmt unser Boot vom Wellenberg ins Tal. Gut das die
höchsten Wellen nur gelegentlich kom men. Ludwig behauptet, es wäre jede siebte Welle.
Dabei versuche ich immer wieder den Gene ralkurs Westen einzuhalten. Ein paar mal, als
ich nicht aufmerksam genug bin, packt uns so eine Welle und das Boot läuft aus dem
Ruder. Die Windflower luvt an und legt sich auf die Seite. Der dabei entstehende
Ruderdruck ist sehr groß. Was ist, wenn das Ruder bricht? Das wäre bei dem Wellengang
und dem Wind die Katastrophe.
Alle sind auch im Cockpit angegurtet und halten sich nur noch fest. Gischt und
überkommendes Wasser läuft oft badewannenweise über das Deck bis in die Plicht.
Schnell ist alles mit einer Salzkruste überzogen.
Durch die heftigen Bootsbewegungen ist unter Deck ein Chaos entstanden. Die Schubla
den und Luken sind aufgerissen und der Inhalt verstreut sich im Salon.
Nur Ludwig und Rudi sind in der Lage sich dort aufzuhalten. Paul und ich werden dort un
ten gleich Seekrank. Das behindert unsere Navigation etwas. Denn Paul kann sich nicht
unten an die Seekarte setzen. Das muss Ludwig machen und Pauls Anweisungen ausfüh
ren.
Wir fahren in die dunkle Nacht hinein. Unsere Positionslampen sind an und wir können so
von anderen Fahrzeugen erkannt werden. Ludwig und Rudi sind zum Ausguck be stimmt
und müssen nach vorn Steuerbord und Backbord Ausschau halten, denn es be steht die
Gefahr, dass Fischereifahrzeuge unseren Kurs kreuzen.
Unsere Position ist unsicher. Wir haben nur unseren geplot eten Ort. Darauf kann man
sich bei dem Wetter nicht mehr sicher verlassen. Wir sichten keine Tonnen oder
Seezeichen, die unsere Position bestätigt hätten.
Zwei Stunden später entschließt sich Paul uns Gewissheit zu verschaffen. Nördlich von
uns verläuft die Seefahrtstraße, die gut mit Leuchttonnen versehen ist. Er sagt mir, dass
ich im spitzen Winkel darauf zufahren soll. Dazu musste ich einen etwas nördlicheren Kurs
nehmen. Durch den hohen Seegang sind die Leuchttonnen nicht so schnell auszuma
chen. Aber die Richtung ist klar und wir werden sie schon irgend wann sichten.
Aber nach einer Stunde haben wir dann ein überraschendes Erlebnis. Plötzlich ist vor uns
auf unserem Kurs eine riesige Wand. Mit dem Handscheinwerfer können wir es dann
erkennen, es ist ein großer Frachter, der offenbar auf Reede liegt. Seine Ankerlichter ha
ben wir nicht gesehen, weil sie für uns viel zu hoch sind und die hohen Wellen unsere
Weitsicht behindern. Schnell drehen wir ab, um uns von dieser Gefahr frei zu segeln.
Nach einiger Zeit ist eine Tonne des Schifffahrtsweges erreicht. Wir zählen ihre
Lichterkennung aus und können sie so identifizieren. Nun haben wir wieder eine sichere
Position. Paul bestimmt einen neuen Kurs und ich gebe mir Mühe ihn einzuhalten.
Der Wind und Seegang hat sich nicht verändert. Wir haben uns aber inzwischen besser
darauf eingestellt. Irgendwie muss ja auch mal jemand schlafen. Paul schickt abwechselnd
im Stundentakt einen von uns nach unten, der versuchen soll etwas zu schlafen.
Gegen Morgen komme ich dran. Paul übernimmt das Ruder. Ich gehe nach unten. Hier ist
ein fürchterliches Getöse und Gekrache. Wenn das Boot mit hoher Fahrt von der Welle
herunter schießt und in die nächste Welle kracht, gibt es einen lauten Knall und einen
fürchterlichen Ruck. Wie soll man dabei schlafen? Nach dem ich mich in einer Koje
verkeilt habe, schlafe ich tatsächlich nach einer Weile ein. Ich bin wohl müde genug.
Immerhin habe ich mehr 10 Stunden am Ruder gestanden und habe mit dem Sturm
gekämpft. Irgendwann werde ich gerüt telt und werde wach.
Ich muss pinkeln. Mir ist klar, dass das nicht über die Reling geht. Also auf unsere Bord
toilette. Das ist natürlich ein ganz besonderes Erlebnis. Erst mal muss alles ausgezogen
werden. Erst die Rettungsweste, Lifegurt und dann den Overall. Bei alle dem muss man
sich ständig fest halten um nicht quer durch den Salon zu fliegen. Die Schwierigkeit kommt
aber dann, wenn man sich von der Toilette erhebt, um die Hose hoch zu ziehen muß man
mit beiden Händen anfassen. In diesem Moment kann man sich nicht festhal ten. Das
Boot macht eine Satz und ich krache mit dem Kopf an die Holzverkleidung. Später konnte
mein Kopf viel von dieser Prozedur erzählen, die man wie verständlich, ja öfter
durchmachen musste.
Ich gehe wieder hoch und sehe, dass der Morgen graut. Nach einigen Instruktionen, über
nehme ich wieder das Ruder. Paul geht nach unten. Südlich Achteraus sehen wir das
Leuchtfeuer von Wangerooge. Dann ist die Insel backbord von uns Spiekeroog.
Offenbar läuft uns jetzt die Strömung entgegen. Dadurch werden die Wellen noch höher
und vor allem steiler. Wellentürme erheben sich wie bedrohliche Monster. Das Segeln
gleicht einer wilden Achterbahnfahrt. Als Steuermann muss man auf der Hut sein und die
gefährlichen, brechenden Wellenkämme nach Möglichkeit aussteuern.
Das Boot arbeitet sich Meter für Meter hinauf, durchschneidet den schäumenden Kamm
und braust auf der anderen Seite ins Wellental hinab. Der Druck auf das Ruderblatt ist
enorm, und ich muss mit beiden Händen und allen verfügbaren Kräften gegen halten um
nicht in den Wind zu schießen.
Mit aufgerissenen Augen sehe ich die nächste heranrol
lende Welle und schätze die Stelle ab, wo ein Schneiden des Kammes am günstigsten er
scheint.
Die achterliche See bringt zwar im allgemeinen das Schiff, ähnlich wie Rücken wind,
schneller voran, ist aber nicht ohne Risiken. Bei starkem Seegang kann sie nämlich,
abhängig von Schiffsgröße und Geschwindigkeit, gefährlich werden, da sie die Lage des
Schiffs im Wasser destabilisiert. Große Wellen können das Schiff „überlaufen“, also das
Bootsdeck überspülen, oder das Heck anheben und das Schiff mit dem Vorderteil voraus,
in die nächste Welle hinein, unter Wasser drücken. Durch die Bewegung des Wassers,
wird das Ruder von hinten angeströmt und hat so keine Wirkung mehr, das Schiff ist nicht
mehr steuerbar.
Paul und ich haben uns auf eine besondere Steuertaktik geeinigt. Ich fah re die Welle
schräg hinunter, und die nächste auch schräg in die andere Richtung wieder hinauf. So
bringe ich etwas Geschwindigkeit aus der Fahrt. Ich muss nur sehen, dass ich den
grundsätzlichen Kompasskurs einhalte. Gelegentlich steigt aber eine von den achterli chen
Seen in unser Cockpit ein. Dann ist plötzlich das halbe Cockpit überflutet. Gott sei Dank
fließt es aber ziemlich schnell durch die großen Lenzrohre wieder ab.
Uns wird allen klar, dass wir nun in einen ausgewachsenen Sturm geraten sind.
Mit dem Begriff "Sturm" wird viel Schindluder getrieben. Sieben Windstärken sind für ein
kleines Fahrtenboot richtiger Sturm, für eine 16 Meter lange Segelyacht eine harte Brise.
Nach meinen Recherchen im Wetterarchiv, hatten wir für den 20.05. im Bereich Nordsee
etwa 8-9 Windstärken. Das war für unser kleines Boot schon eher im Bereich Or kan.
Plötzlich kommt Paul wieder an Deck. Sein Gesicht ist kreidebleich. Er hat sein
Seemannsmesser in der Hand und wir erschrecken. Er klappt das Messer auf und sagt zu
Ludwig:“Schneide mir einen Schlitz in die Hose, ich muss pinkeln und das Abenteuer auf
der Toilette mache ich nicht mit“. Ludwig macht sich an die Arbeit. Das Messer ist sehr
scharf und bei der heftigen Schiffsbewegung, könnten sehr schnell edle Teile verletzt
werden. Paul wäre nicht der Erste gewesen, der beim Pinkeln über die Re ling, über Bord,
gegangen wäre. Deshalb wurde er sorgsam angeleint und zusätzlich festge halten. Es
gelang und Erleichterung hatte nicht nur Paul, wir sind froh, dass nichts pas siert ist.
Im Laufe des Vormittags traut sich Ludwig etwas Essen im Salon zu erwärmen. Wir haben
einen Spirituskocher, der ziemlich fest in seiner Mulde steht. Ludwig findet eine Dose, von
der er annimmt, dass Eintopf drin ist. Man konnte nicht sicher sein, denn die Etiketten
haben sich abgelöst. Er findet sogar einen Dosenöffner. Der Spirituskocher brennt und er
nimmt einen großen Kochtopf, von dem er glaubt, dass der Inhalt, trotz der heftigen
Schiffsbewegung, drin bleiben könnte. Irgendwann reicht er den Topf mit vier Löffeln ins
Cockpit. Gemeinsam essen wir den warmen Eintopf. Ich meine, es ist eine ganz
besondere Leistung von Ludwig. Keiner hätte es sonst gekonnt. Es tut allen sehr gut.
Die Situation mit dem Seegang und dem Wind hat sich nicht verändert. Die ostfriesi schen
Inseln liegen in guter Sichtweite, an unserer backbord Seite. Ein paar Mal gelingen uns
Peilungen auf Leuchttürme und andere Seezeichen. So das wir jetzt eine relativ siche re
Position haben.
Plötzlich meldet Rudi, dass im Salon Wasser steht. Etwa 5 bis 10 cm hoch. Es ist nicht
gerade Panik, was uns durchfährt, aber große Unsicherheit. Woher kommt das Wasser?
Wir beginnen sofort zu pumpen. Paul ordnet an mit einem Peilstab unten im Salon die
Wasserhöhe zu prüfen, damit wir unsere Pumperfolge messen können. Es senkt sich erst
etwas ab, aber dann kam die Nachricht, dass es wieder etwas gestiegen ist. So muss im
Wechsel ständig gepumpt werden. Die Pumpe kann vom Cockpit aus bedient werden. Ich
beteiligte mich nicht an diesen Dingen, denn ich habe mit dem Steuern des Bootes ge nug
zu tun.
Unsere am Heckkorb angebrachte Rettungsinsel sprang durch die ständigen Seen, die sie
immer wieder anhoben, aus ihrer Halterung. Sie wurde gegen eine Decksklampe ge
schleudert und erhielt dadurch ein Loch in der Außenhülle. Die Rettungsinsel wird in die
Halterung zurück gedrückt und zusätzlich mit einem Tampen gesichert.
Wir stellen auf Grund unserer Navigation fest, dass unsere Geschwindigkeit über Grund
nicht mehr als 3-4 Knoten ist. Die Wellen, in die wir immer wieder hinein knallen, stoppen
das Schiff abrupt und wir stehen, bis wir einen neuen Anlauf auf den nächsten Wellenberg
nehmen. Dazu kommt der entgegenlaufende Strom.
Inzwischen haben wir die letzte ostfriesische Insel Borkum vor uns. Als sie querab liegt, ist
es schon wieder dunkel geworden. Wir können das Leuchtfeuer von Borkum identifizieren.
Uns ist klar, dass der Kampf mit dem Seegang und dem Wind, in der Nacht nicht leichter
werden wird. Auch macht das eingedrungene Wasser, welches Gott sei Dank nicht weiter
ge stiegen ist, uns Sorgen. Wir gehen mit einer sicheren Position in die Nacht hinein. Ein
paar mal bekommen wir Tonnen zu Gesicht, die wir gleich für unsere Kursberichti gung
nutzen. Nur kann ich den Kurs halten? Ich gebe mir alle Mühe. Manchmal, wenn das Boot
die Welle hinunter fährt und in den nächsten Brecher donnert, gibt es einen sol chen Knall,
dass man glauben kann, das Schiff sei auf Beton aufgeschlagen.
Meine Kameraden wollten mich am Ruder ablösen. Paul sagt aber: „Nein, der Jürgen fährt
weiter. Er hat von uns allen die meiste Erfahrung beim Steuern gesammelt.“ Nach einer
Stunde übernimmt Paul das Ruder und schickt mich nach Unten. Wie sollte ich hier
schlafen? Das Wasser schwappte auf dem Boden und der Lärm ist noch lauter geworden.
Wiederum klemme ich mich in der Koje fest und es dauert sehr lange bis ich einschlafe,
begleitet von wilden Träumen.
Zwei Stunden lässt man mir. Dann kommt Ludwig und weckt mich. Natürlich muss ich
wieder die Prozedur auf der Toilette durchstehen.
Ludwig zeigt mir meine Fototasche, die mit meiner Ausrüstung im Wasser schwimmt. Er
dachte wohl, ich könnte sie noch retten. Ich sage ihm aber: “Die brauche ich nicht mehr.“
Wie er mir später erzählte, dachte er: Jürgen hat uns aufgegeben, er glaubt nicht mehr,
dass wir hier noch wieder heraus kommen. Das hat ihm sehr zu denken gegeben, was sei
ner Verfassung nicht sehr zuträglich war.
Wir müssten jetzt die Westfriesischen Inseln backbord haben. aber wissen nicht genau
welche der Inseln, weil wir noch kein neues Leuchtfeuer identifiziert haben. Aber dann se
hen wir das Licht von Nordertooren auf Schiermanikoog. Da der Tag graut, können wir
auch die Insel ausmachen. Sie liegt wie eine graue Masse backbord von uns.
Von unten aus den Salon kommen keine guten Nachrichten. Das Wasser ist weiter ge
stiegen, obwohl Ludwig und Rudi sich ständig an der Pumpe ablösen.
So wie es heller wird, stellen wir die Schäden fest, welches unser Boot in der Nacht be
kommen hat. Die vordere Positionslampe und das Kabel vom Dampferlicht, sind durch
Wellenschlag abgerissen. Wir sind also in der Nacht für fremde Schiffe nicht mehr auszu
machen. Das ist eine Gefahr, die man nicht unterschätzen darf. Wir hoffen aber, dass wir
die nächste Nacht im Hafen von Terschelling verbringen können.
Das Wetter hat sich nicht verändert. Wir müssen also weiter kämpfen. Gegen zehn Uhr
plötzlich ein Peitschenknall. Das Backstag an der Steuerbord Seite hat dem Druck nicht
mehr standgehalten und reißt aus der Verschraubung und peitscht über Deck. Na türlich
sind wir sehr erschrocken. Aber wir haben noch das zweite Backstag und hoffen, dass es
ausreicht um den Mast zu stabilisieren.
Als wir in der Höhe von Ameland kommen, werden wir über Funk vom Leuchtturm Bran
daris auf Terschelling angerufen. Er hat uns auf dem Radar und erkundigte sich ob alles in
Ordnung sei oder ob wir Schwierigkeiten hätten? Paul spricht mit dem Lotsen auf dem
Leuchtturm und lässt sich unsere Radarposition geben. Man fragt auch nach unserem Ziel
und Paul nennt den Hafen von Terschelling. Darauf erklärt der Lotse, dass wir im Tho mas
Shmidt Gat mit Grundseen rechnen müssten und wir brauchen einen guten Motor um dort
gegen Strom und Wind einzulaufen. Paul schilderte dann den Zustand unseres Bootes,
vor allem, dass wir inzwischen 40 cm Wasser im Boot haben und die Situation mit unserer
Beleuchtung.
Darauf hin lässt Paul den Motor probeweise einmal laufen. Er springt an und geht dann
nach kurzer Zeit wieder aus. Paul geht runter zum Motor. Es dauerte eine ganze Weile bis
er sagt: „es ist Wasser im Diesel“. Er wechselt den Dieselfilter und startet neu. Wieder
springt der Motor an und erstirbt nach kurzer Zeit. Paul kommt wieder hoch und man sieht
ihm an, wie viel Kraft ihn die Arbeit am Motor unter Deck gekostet hat. Er ist der Meinung,
dass wir das Problem nicht lösen können und auf den Motor verzichten müssen. Die einzi
ge Möglichkeit wäre noch nach Iymuiden zu segeln, aber das wäre eine weitere Nacht und
das ohne Beleuchtung mit dem steigenden Wasser im Boot. Außerdem könnten wir das
gesamte Rigg auf Grund des ausgerissenen Backstags verlieren. Es wäre ein großes
Risiko.
Plötzlich sichten wir einen Segler, der uns auf am Wind Kurs entgegenkommt. Er trägt
Sturmsegel und kämpft gegen die ihm entgegen laufende See. Das Boot hat eine ähnli
che Größe wie unsere Windflower. Die Männer an Bord winken uns zu. Wir bewundern die
Crew, die bei dem Sturm am Wind fährt. Wissen wir doch, was das für ein fürchterlicher
Ritt ist.
Paul spricht noch einmal mit dem Lotsen auf Brandaris. Und schildert unsere Lage. Der
Lotse rät uns Schlepphilfe zu nehmen um uns in den Hafen von Terschelling schleppen zu
lassen.
Paul meldet über Funk ein Telefongespräch mit seiner Frau an. Er lässt sich dann von ihr
einige Passagen aus der Versicherungspolice der Windflower vorlesen.
Um 17:30 erreichen wir die Tonne VSM . Von hier würde man in das Seegat von Terschel
ling einlaufen. Das geht aber ohne Motorhilfe nicht. Über Funk sprechen wir noch einmal
mit dem Lotsen von Brandaris und bitten um Schlepperhilfe.
Wir erhalten die Weisung bei der Tonne VSM zu bleiben und hier den Schlepper zu erwar
ten. Das bedeutet zu kreuzen und nicht länger vor Wind und Seegang zu laufen. Um zu
kreuzen brauchen wir andere Segel. Ein Sturmsegel als Groß und ebenso eine Fock, die
dem Wind standhält. Nun sollten wir erfahren, welch großer Unterschied zwischen am
Wind und achterlichem Wind bei diesem Sturm besteht.
Ludwig und Paul machen sich fertig das Sturmsegel zu setzen. Ich muss meinen Kurs
verlassen und mehr an den Wind heran gehen.
Die Nordsee tobt. Böen der Windstärke neun peitschen das Meer. Brutal reißt es den Bug
der „Windflower“ in die Höhe. Dann taucht sie wieder ab, schneidet durch die steilen Wo
gen. Sturzbäche rauschen über das Boot. Die Nordsee schlägt mir ihre Ladung ins Ge
sicht. Kübel weise geht Wasser auf mich nieder, sickert mir in den Nacken, läuft in die Är
mel. Auf meinen rauen Lippen brennt das Salz. So schmeckt ein Sturm.
Ich klammere mich ans Ruder und versuche uns halbwegs auf einem Kurs zu halten, der uns erlaubt
das Sturmsegel zu setzen, was sich für Ludwig und Paul als sehr schwierig erweist, da der Wind es
immer wieder aufbauscht. Sie kämpfen mit ihrem Gleichgewicht und dem schlagenden Segel. Wäre
da nicht die Sicher heitsleine hätten sie wohl schon längst schwimmen müssen.
Dunkle Massen mit Gischtbergen wandern mit Getöse vorwärts und begraben uns fast un ter sich.
Wir sind unendlich froh, als die Beiden wieder im Cockpit landen. Nun holen wir die Schoten an
und beginnen anzulufen. Kaum fangen die Segel wieder Wind legt sich die „Windflower“ 40 Grad
auf die Seite. Das Deck, auf dem ich stehe, taucht unter, ein Bre cher schlägt mir die Beine weg.
Gott sei Dank bin ich angeleint! Mühsam rappele ich mich wieder auf. Ich stehe bis zu den Knien
im reißenden Wasser und halte das unter enormem Druck stehende Ruder. Der Schweiß rinnt mir
den Rücken hinab, ich atme heftiger.
Das ist mit nichts von dem zu vergleichen, was wir vorher erlebt haben. Inzwischen sind wir schon
ein großes Stück von der Tonne VSM abgekommen. Also bereiten wir die Wende vor. Ich gebe als
Steuermann das Kommando.
Die Jacht geht mit der Nase durch den Wind, für einen Augenblick schlagen die Segel. Kaum
fangen sie wieder Wind, legt sich das Schiff auf die andere Seite. Nach jedem Wendemanöver muss
das Vorsegel dicht geholt werden. Bei acht Windstärken eine üble Schufterei. Über die Winschen
holen wir die Schoten so dicht, dass wir noch einen möglichst hohen Kurs am Wind fahren kön nen.
Langsam nähern wir uns wieder der Tonne. Unter ständigem Kreuzen gelingt es uns in der Nähe der
Tonne zu bleiben.
Paul hat sich verändert. Seine Lippen bewegen sich murmelnd und auf seiner Stirn er
scheinen Falten, als ob er über etwas nachgrübelt. Es ist wohl nicht die dramatische Lage,
die wir bei diesen Kreuzkursen, durchstehen müssen, sondern mehr die Sorge, ob er die
Situation mit der Versicherung richtig eingeschätzt hat. Es würden enorme Kosten für das
Abschleppunternehmen auf uns zu kommen.
Das Kreuzen an der Tonne VSM kostete viel Kraft. Immer wieder müssen wir wenden und
den Gegenkurs steuern. Das Boot macht einen wilden Tanz und wir werden ein Teil des
Wassers, was vom Bug her über uns hereinbricht.
Um etwa 18:45 sichten wir das Schleppboot. Wir bekommen sofort Funkverbindung. Es
wird verabredet erst eine dünne Leine vom Schleppboot anzunehmen. Dabei dürfen wir
uns nicht zu sehr nähern, weil sonst eine große Welle beide Boote zur Kollision bringen
könnte. Mal ist der Schlepper hoch über uns und dann sind wir wieder oben auf einer
Welle und sehen auf das Boot hinunter. Die Seeleute auf dem Schleppboot verstehen ihr
Handwerk. Es dauert nicht lange und Rudi hat die Wurfleine zu fassen bekommen. An die
se Leine wird nun die dicke Schlepptrosse gebunden. Es sind übermenschliche Anstren
gungen, die die drei, Paul, Ludwig und Rudi brauchen um die Schlepptrosse durch das
Wasser auf unser Boot zu ziehen. Ich muss mit großer Konzentration das Meinige tun um
nicht mit dem Seehund, so heißt das Boot unserer Retter, zusammen zu stoßen.
Irgend wann ist die dicke Schlepptrosse bei uns an Bord. Sie muss jetzt so schnell wie
möglich fest gemacht werden, um sie nicht durch einen plötzlichen Ruck wieder zu verlie
ren. Die Klampe am Bugkorb würde den enormen Druck und die Stöße und das Rucken
beim Anziehen nicht standhalten und ausreißen. Deshalb müssen wir die Trosse über die
Klampe zum Mast führen und sie dann um den Mastfuß binden. Paul und Ludwig müssen
nach vorne, das ist enorm gefährlich, denn das Vorschiff ist ständig unter Wasser. Paul
sagt noch: Grüßt meine Frau und macht sich auf den Weg, Ludwig hinter ihm. Oft sind sie
unter dem Ansturm der Brecher nicht mehr zu sehen. Mit eisernem Willen bezwingen sie
dieses Tau Ungeheuer. Die Trosse ist fest. Nun müssen noch die Segel geborgen werden.
Paul und Ludwig müssen noch einmal alles geben und die stark flatternden Segel bergen.
Rudi zieht sie von hinten in den Salon hinein. Als die Segel weg sind zieht die Seehund
langsam an und die Trosse wird straff. Mit großer Kraft zieht der Schlepper uns nun lang
sam gegen den aus dem Gatt laufenden Strom. Paul sagt nun: „Alles nach unten und das
Steck - Schott zu, Jürgen bleibt alleine oben. Der Mast könnte herunter kommen“.
Ja, wenn der Mast herunter kommt, muss einer geopfert werden. Das kann nur der
Steuermann sein, der muss ja sowieso am Ruder bleiben.
Die Seehund zieht uns nun durch den steilen Seegang. Nach meinem Gefühl schleppt
sie mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Unser Boot wird fast unter Wasser gezogen. Ich
habe große Mühe noch etwas zu sehen, weil das Wasser mit solcher Wucht vom Bug her
in das Cockpit spritzt, dass ich zeitweise glaube, wir seien ein U Boot.
Nach etwa einer Stunde kommen wir in Landschutz und der Seegang lässt nach. Die
Fahrt wird bedeutend angenehmer. Aber immer noch wird unser Boot mit dem Bug fast un
ter Wasser gedrückt. Als der Hafen bald erreicht ist, ist der Seegang und der Wind mode
rat geworden. Paul ist inzwischen wieder im Cockpit. Da holt die Besatzung von der See
hund die Schleppleine dicht und die beiden Boote berühren sich fast. Ein Mann springt
über in unser Boot. Er hat einen Bergungsvertrag und will ihn unterschrieben haben. Da
Paul zögert, weil er erst den genauen Wortlaut lesen will, droht ein Mann auf der Seehund,
mit einer Axt die Trosse zu kappen. Paul unterschreibt und der Mann springt zurück auf
das Schleppboot.
Um 20:45 befinden wir uns im Hafen von Terschelling
Welch eine Ruhe nach dem Tosen der See und des Windes, nach dem Donnern des Boo
tes beim Aufprall auf die Wellen. Nun erst bemerken wir unsere Müdigkeit und Erschöp
fung, nach dem dreitägigen Kampf mit der See. Die holländischen Helfer, die uns hier in
Empfang nehmen, sind außerordentlich fürsorglich und liebenswürdig. Sie wissen auch,
was wir jetzt am dringendsten brauchen. Man führt uns in eine alte Segelmacherei am Ha
fen. Hier hat man Klappbetten mit Decken und Kissen aufgebaut und wünscht uns „een
goede Nacht”. Wir halten uns nicht mehr lange auf, nach dem wir unsere durchnäßten
Kleider ausgezogen haben, liegen wir auch schon im Bett und schlafen den Schlaf der
Erschöpften.
Es ist schon bald Mittag, als wir langsam wieder wach werden. Wir sehen uns erstaunt um
und betrachten unser Umfeld: alte Segel, Leinen, Tauwerk, und Werkzeuge für die
Segelmacherei. Wir suchen zwischen unseren nassen Sachen das Nötigste heraus um
nach Draußen gehen zu können. Als wir heraus kommen, empfängt uns blauer Himmel
und herrlicher Sonnenschein. Was für ein Hohn. Die Windflower liegt ordentlich vertäut
neben einem alten Holzschiff. Wir gehen an Bord und suchen uns etwas Kleidung aus den
Schränken. Auf dem Deck des alten Holzschiffes in der Sonne sitzend, frühstücken wir
Brötchen mit Aufschnitt. Natürlich werden die Ereignisse der letzten Tage noch einmal
eingehend besprochen, und das war auch nicht das letzte Mal.
Wir entnehmen den Navigationsunterlagen, daß wir etwa 160 Seemeilen gesegelt sind.
Das war für die Zeitspanne keine schnelle Reise, aber wir haben jede Meile in extremer
Situation erkämpft.
Für mich ergab sich auch noch ein sonderbares Ergebnis der Fahrt, mein Schulter -Arm
Syndrom, was mich ein Jahr fast nicht mehr arbeiten lies, war weg. Verschwunden in dem
Tag und Nacht andauernden Kampf am Ruder. Dann habe ich mich gefragt, ob ich über
haupt Angst gehabt hatte während dieses Törns? Nein, habe ich nicht gehabt. Nicht weil
ich besonders mutig bin, sondern weil ich einfach keine Zeit dafür hatte.
Nachmittags reparieren wir die Schäden an unserem Boot, pumpen das Wasser heraus
und finden den Fehler am Stevenrohr, wo sich Schrauben gelöst hatten und deshalb Was
ser durchgedrückt wurde.
Am nächsten Tag können wir unsere Reise fortsetzen und das Boot sicher bis Stavoren
zum Liegeplatz bringen.
Bliebe noch anzumerken, dass Ludwig im Hafen von Terschelling einen Mann von der
Besatzung des Seehunds traf, der ihm erzählte, dass sie in der Nacht noch wieder los ge
fahren sind, um den Segler zu bergen, der uns am Nachmittag begegnet war. Es war wohl
noch dramatischer als bei uns, denn es war eine Frau am Mast gefesselt, die den Stress
nicht mehr ausgehalten hatte und sich in das Meer stürzen wollte.
Unsere Versicherung bezahlte die Bergung, weil sie zur Abwendung von Totalverlust not
wendig war. Vorher musste aber noch ein Gutachter, die Hochseetauglichkeit der Wind
flower bescheinigen, was auch ohne Probleme bestätigt wurde. Außerdem wurde eine Be
fähigung des Skippers verlangt, was durch die Vorlage des Sportboot Führerscheins
belegt wurde.
Wenn man solche Ereignisse, wie bei diesem Törn erlebt hat, wo Charakter, Kraft, Durch
haltevermögen und Kenntnisse einer harten Probe unterworfen wurden, ist man stolz,
dass man diese Prüfung bestanden hat. Wenn man auch manchmal so mutlos werden
konnte, dass man glaubte, die Götter hätten uns verlassen – aber danach, ah, mit welcher
Freude erinnert man sich daran und mit welchem Genuss berichtet man anderen Seglern
und Freunden davon.
Jürgen Boos
Brandaris auf Terschelling
Texte
Sturmfahrt 1977
Mein bewegtes Leben
Mit der Prinzess 30
160 Seemeilen
Von Bremerhaven bis
Terschelling
Die Segel gebläht, mein Boot rauscht dahin,
zerschneidet die Wellen, mein Glück liegt darin.
Die Gischt sie sprühet, die Brise ist steif,
die Wangen sie glühen, für`s Glück bin ich reif.
Doch Neptun fühlt sich heraus gefordert,
er hat die Macht und hat sie geordert,
die kräftige Stimme zum Sturm erhoben,
lässt er die Wogen mit Wildheit toben.
„Ich mach jetzt ein Spiel auf Leben und Tod,
wenn du verlierst, sinket das Boot.“
Es erhebt sich das Wasser mit lautem Gebrüll
und nie mehr stehen die Wogen still.
Es toben die Wellen und stürzen herab,
jed` eine will das nasskalte Grab.
Doch heben sie mich auch Himmel-Haus hoch,
um mich zu schmettern ins drohende Loch.
Ich fasse das Steuer mit eiserner Faust,
ich will nicht verlier`n, auch wenn Neptun so braust.
Ich kämpfe mit Mut und Verzweiflung dazu,
doch das Toben des Meeres raubt jegliche Ruh` .
Das tosende Wasser, der brüllende Sturm,
die spritzende Gischt so hoch wie ein Turm,
ertrinken soll ich in diesem Wahn,
ertrinken in meinem so winzigen Kahn.
Als Mensch geboren, hab ich ein Leben,
nur das eine, das kann und will ich nicht geben.
Und wieder jaget das Boot in den Schlund,
weit geöffnet ist Neptuns riesiger Mund.
Er will mich verschlingen, doch ich lass es nicht zu,
reiß das Steuer herum und entfliehe im nu.
Stunde um Stunde, die Wolken sie Fetzen,
will Neptun mich zu Tode hetzen.
Das brodelnde Wasser, es greift stets nach mir,
Neptun hat dafür ein gutes Gespür
Mit greifender Hand will fassen mein Boot,
will bringen mir den nasskalten Tod.
Noch einmal versucht er´s, die Strudel sie reißen,
wie brüllende Löwen, mein Boot zerbeißen.
Als das spritzende Wasser im Munde zergeht,
Schrei ich hinaus, auch wenn Worte verweh`n:
„Ich geb` es nicht her, das Boot ist mein,
die offene See und die Tiefe ist dein.
Mein Wille zum Leben ist stärker als du,
nun gib endlich auf und lass mich in Ruh`.
Erlösche den Sturm und glätte die Wogen,
genug Schiffe hast du nach unten gezogen.
So glaub` mir doch, du wirst nicht gewinnen,
mit Mut und Kühnheit werd` ich entrinnen.
Doch geb` ich zu, du bist mächtig und groß,
aber nur friedlich, hörst du? beglückt mich dein
Schoß.“
Er lässt sich bekehren und ziehet fort,
fort von diesem so tobenden Ort.
Als er sich weit genug entfernt,
hab` ich aus seinem Verhalten gelernt,
nur wenn du kämpfst, so kannst du auch siegen,
kämpfst du nicht, wirst du unterliegen.
Der Sturm hat sich zum Winde gelegt,
mein Herz ist vom Siege ganz angeregt.
Die Segel gebläht, mein Boot rauscht dahin,
zerschneidet die Wellen, mein Glück liegt darin.
Die Gischt sie sprühet, die Brise ist steif,
die Wangen sie glühen, für`s Glück bin ich reif.
Ein Freund, Waldemar Krause, schrieb angeregt durch
diesen Bericht, ein Gedicht. Ich finde es paßt hier her.
Der Zweikampf auf See
von Waldemar Krause