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Mein bewegtes Leben
Abenteuer im Hafen
Ein Segelabenteuer in den Niederlanden beginnt oft schon in den Häfen. Mittelalterlich ist
das Gewand vieler älterer Städte, hanseatisch das Flair, maritim und romantisch geben sich
die Häfen in den kleinen Städten.
Hoorn war immer wieder Ziel unserer Wochenendfahrten mit der Windflower.
Rund um den Hafen finden Alt und Neu zusammen Unser Ziel am Abend waren meistens die
alten „braunen“ Kneipen (hat nichts mit politischer Gesinnung zu tun), denn in diesen Kneipen,
mit ihrer charakteristischen dunklen Einrichtung, findet man die typische
holländische"Gezelligheid".
Hier trinken die Hoorner am Feierabend ihr Bier. Sie spielen mit Freunden Karten und geben,
zusammen mit starken Geschichten Lebensweisheiten von sich.
Eine Randbemerkung: diese "Gezelligheid" ist so typisch für die Niederlande , dass man das
Wort kaum übersetzen kann. Im Deutschen ähnelt ihm "Gemütlichkeit" oder "Geselligkeit"
noch am meisten.
Die 'braunen' Kneipen haben jedoch eine Reihe von gemeinschaftlichen Kennzeichen: Wände
und Decken sind vom Alter und Tabakrauch verfärbt, ein paar historische Prunkstücke
werden gehegt und es gibt keine Musik. Die einzigen Geräusche, die man hier hört, sind die
Stimmen der Gäste und das Klirren der Gläser beim Abwaschen
Als „Seemänner“ wußten wir: „Nie die erste Kneipe im Hafen, mindestens die Zweite
abwarten.“
So gerieten wir wieder in unsere, von vielen Besuchen vertraute, Kneipe. Hier landeten selten
die im edlem Sportzeug, den Lacoste Pullover lässig über die Schulter drapierten Crews der
Zahnarztyachten.
Wenn Holländer in ihrer Stammkneipe sind, haben sie meistens Lust zu reden, und in einer
'braunen' Kneipe kommt man denn auch einfach mit Ihnen ins Gespräch. Sogar wenn man kein
Wort Niederländisch versteht, denn Hoorner sprechen gerne in unserer Sprache mit uns
(und meistens können sie es ganz gut)
Wir Menschen sind ja Abenteurer, manchmal auch, wenn wir es gar nicht sein wollen. Doch
lauern uns immer wieder neue Geschichten und Erlebnisse auf. Keine Chance zu entkommen,
wir stecken mittendrin.
Jedenfalls von dem Moment an wo ich mich auf den freien Barhocker neben der Dame mit
den langen roten Haaren setzte. Meiner Crew war es ernst mit dem Kneipenbesuch.
Jedenfalls landeten die Heineken in derart schneller Folge vor mir, daß mir keine Zeit blieb
meine Nachbarin ausführlich zu betrachten geschweige denn anzusprechen.
Erst als ich die Bier-Flut durch Nichtbeachten dämmte, gelang mir ein Blick auf die Frau
neben mir. Feuriges Rot bis auf die Schulter und auch schon etwas reif bis auf das gewagte
Dekolleté. Aber sicher anziehend und von etwas umgeben was ich schon in Romanen gelesen
hatte, dort nannte man es Flair, jedenfalls stellte ich es mir so vor.
Sie trank Rotwein. Nein sie nippte nicht an ihrem Glas, sie trank. Aber die Seele aller Wesen
ist ihr Duft. Der Duft, der sie umgab, war wie der warme Sommerabend, der die verborgene
Verheißung kommender Nächte in sich birgt. ...
„Yvonne“ stellte sie sich mir vor. Ich entgegnete verhalten „Jürgen“
Ihre Stimme so abwechslungsreich wie die Jahreszeiten. Sie klang mal sanft, mal erotisch
und mal burschikos. Man wußte nie, worauf man bei ihr gefaßt sein mußte.
Sie sah mich mit ihren auffallend grünen Augen, die wie tiefe Seen in den Höhlen lagen,
intensiv und neugierig an, als würde sie zum ersten Mal einen Menschen sehen,
was mich leicht nervös auf meinem Hocker hin und her rutschen ließ. Sie muß bemerkt haben,
dass in ihrer Gegenwart meine Sicherheit ins Wanken geriet, doch sie lachte nur kokett.
Dann sagte sie: “Hat er Dich geschickt“?
„He....- was....- entschuldige - ich verstehe nicht...“ stammelte ich sehr verunsichert.
“Ob er Dich geschickt hat, habe ich gefragt“!
Ich faßte mich und sagte tapfer und jetzt wieder mit fester Stimme, ich bin schließlich der
Skipper: „Wen meinst Du?“
Sie schaute mich sehr überlegen und voll enormen Selbstbewußtseins an
„Ich spüre es, er hat Dich geschickt.“
Rätsel in meinem Kopf und sicher auch in meinen Blicken.
´Jürgen, blamiere Dich jetzt nicht, bleib cool´.
„Na Du weißt es doch, Du kommst von Iwan.“
Nein, nun wußte ich gar nichts mehr. Ich stürzte erst mal eines von den wartenden Bieren
herunter.
„ Na, dann trink erst mal mit mir, dann erkläre ich es Dir.“
Ich erhob ein Bierglas und prostete ihr zu. Das war offensichtlich falsch.
„Nein. So geht das nicht.“ sagte ihre rauchige Stimme.
Ein kleiner Wink zum Wirt und schon hatte ich ein Glas Rotwein vor mir stehen. Ich stieß mit
dem Rotwein mit ihr an und unsere Gläser klangen.
Dann begann sie zu sprechen:
“Also, das ist so. Ivan Rebroff ist mein Seelenverwandter. Er spürt sofort wenn ich einsam
bin und dann schickt er jemand. Er hat Dich geschickt“.
„ Ja,“ sagte ich, „das stimmt, er war eben bei mir an Bord“.
„Das braucht er nicht“ sagte sie mit überlegenem Tonfall.
„Er kann es dir auch aus der Entfernung mitteilen. Und Du bist ja auch tatsächlich hier.“
Ich war da und Ivan hat mich geschickt, ist doch klar, und daß ich nichts davon gemerkt habe
liegt sicher am Heineken.
„Laßt uns noch mal anstoßen, dann erzähle ich Dir von ihm.“
Wieder klangen die Gläser.
„ Ja,“ sagte sie, „Ivan ist mein Seelenverwandter. Wenn er in einer Kirche singt, singt er nur
für mich.“
Ungläubig sah ich sie an, war sie irgendwo aus einer Heilanstalt entsprungen? Aber gefährlich
war sie anscheinend nicht. Oder doch? War sie eine gefährliche Frau, die arglose Männer in
ihren Bannkreis lockte um sich an ihnen zu vergehen? Nein vor solcher Gefahr war mir nicht
bange.
Tapfer sagte ich: “Erzähle mir von ihm“.
Sie redete weiter:„Ja das mit der Seelenverwandtschaft sage ich nicht nur daher. Wir
kannten uns in unserem vorigen Leben. Aber bevor ich weiter spreche: ich bin sehr sensibel
und wenn Du mich nicht ernst nimmst, gehe lieber.“
Ich versicherte ihr, daß ich mir Mühe geben werde sie in Ruhe und mit Aufmerksamkeit
anzuhören.
Das mußte mit einem kräftigen Stoß des Weinglases besiegelt werden. Ich tat meine Pflicht
und trank aus. Die Gläser wurden sofort wieder gefüllt. Yvonne begann wieder zu sprechen:
„Ich lebte in meinem vorigen Leben an einem Fürstenhof im südwestlichen Rußland. Als Frau
des russischen Herrschers über ein großes Fürstentum. Ich war glücklich, wir waren sehr
wohlhabend und ich hatte einen wunderbaren Mann. Eines Tages bekam mein Mann Besuch von
einem Freund aus seiner Militärzeit. Iwan war ein großer starker Mann mit guten
Umgangsformen, er war gebildet und romantisch.
Ich verliebte mich in ihn und spürte, daß auch er mir sehr zugetan war. Natürlich war uns
beiden klar, daß niemand von unserer Liebe erfahren durfte. Wann immer sich die
Möglichkeit ergab, suchte ich seine Gesellschaft.
Eines Tages wurde eine große Jagd auf einen sich in den Gutswäldern herumtreibenden
Bären angesetzt und viele Gäste dazu eingeladen.“
Wir tranken wieder ein paar Schlucke Wein, während ich mir das Szenario einer russischen
Bärenjagd vorstellte. - Die russischen Wälder waren nur bei starkem Frost zu betreten und
die Eiskruste mußte stark genug sein um das Eindringen in die Wälder zu gestatten. Ich
stelle mir vor, wie die Sonne an einem stahlblauen Himmel steht, wie die Bäume und
Sträucher blitzen und Funkeln wie Kristallsäulen oder seltsame Wundergewächse im
Zauberpalast der Natur. Ich sehe die prächtige Jagdgesellschaft. Die Herren in kostbaren
Pelzen, die Dienerschaft in reicher Livree. Die bellenden Hunde, eine Dame mit einem
wallenden Zobelpelz auf einem herrlichen Braunen, trägt sie nicht die Züge von Yvonne?......
Ich sehe ein prächtiges russisches Winterbild..... was ist los mit mir, wie kommen diese Bilder
in meinen Kopf?
Sie begann wieder zu sprechen.
„Während der Jagd geriet ich etwas abseits der Jagdgesellschaft in einen einsamen Teil des
Waldes. Iwan war bei mir. Erschöpft hielt ich an und er nahm mich in den Arm. Wir küßten
uns leidenschaftlich und es gab kein Halten mehr und wir liebten uns hingebungsvoll.
Es war einfach wunderschön... die romantische Waldlichtung, ich war erhitzt von dem
scharfen Ritt, die Zärtlichkeit und die verhaltene Kraft dieses atemberaubenden Mannes.
Ich verging in seinen Armen voll Seligkeit.
Unvermittelt sprengte in ungestümen Galopp ein Reiter auf die Lichtung. Es war mein Gemahl.
In einem wilden Satz sprang er vom Pferd und vor Zorn sprühend zog er seinen Säbel.
Ich und mein Geliebter waren wie erstarrt vor Schreck.
Mit einem gewaltigen, einzigen Hieb entmannte mein Gatte seinen Freund, riß mich auf sein
Pferd und galoppierte davon.
Ist es da ein Wunder, daß wir, Iwan und ich, uns in diesem neuen Leben noch immer als
zusammengehörig fühlen?“
Meine Finger hatten sich um mein Glas verkrampft, ich preßte meine Lippen zusammen, damit
ich mich nicht verriet und in Lachen ausbrach.
Sie schaute etwas verwirrt um sich, um jemanden zu erspähen, der Ihre Erzählung nicht
ernst nahm. Ich weiß, sie hätte keinen Augenblick gezögert und ihm ihr volles Weinglas ins
Gesicht geschüttet.
Ich sah sie an und prostete ihr mit meinem Glas zu. Sie nahm ihr Glas an die Lippen und trank
es in einem Zug leer. Die in der Nähe sitzenden Gäste tranken ihr zu. Offenbar kannte man
sich hier.
Dann wandte sie sich wieder mir zu und sagte leise: „Der größte Beweis dieser Geschehnisse
ist seine Stimme“.
Ich schaute sie fragend an und sie sagte: „Denke an seinen großen Stimmumfang, der einfach
einmalig ist. Niemand, der in der Lage ist so einen tiefen Bass zu singen, kann diese enorme
Tonhöhe erreichen, wie er es vermag. Und das ist doch wohl einwandfrei das Stimmvermögen,
wie es nur Kastraten eigen ist.“
Man kann mir glauben ich war beeindruckt.
Etwas unsicher und schwankend ging ich zur Toilette. Ich sah mich im Spiegel und schob die
Röte in meinem Gesicht dem Rotwein zu.
Wieder an der Theke angekommen, war ihr Hocker leer. Auf Nachfrage beim Wirt sagte er
nur, „Sie hat bezahlt.“
Abenteuer im Hafen
In einer braunen Kneipe in Hoorn